Grenzen

Der Sportler sucht seine Grenzen, er geht über seine Grenze hinaus, er hat seine Grenze erreicht, der Wettkampf war grenzwertig …..
Immer wieder liest man solche oder ähnliche Sätze. Und immer überlege ich, was ist eigentlich die Grenze? Oder besser gesagt, wo liegt sie? Und kann man tatsächlich über sie hinausgehen? Oder ist einfach irgendwann Schluss?

Am Sonntag habe ich sie kennengelernt. Eigentlich war ich auf diese Begegnung vorbereitet, aber trotzdem hat es mich schwer erwischt.

ITU-WM ImmenstadtIn Immenstadt wurde die ITU-Weltmeisterschaft der Langdistanz ausgetragen und die Strecke von 4/130/30 passte hervorragend in meine Langzeitplanung. Ich habe eigentlich jedes Jahr meine Distanz gesteigert und so sollte es nach Volksdistanz (2006), Olympische Distanz (2007), Bonn-Distanz (2008) und Ironman 70.3 (2009), diese Jahr also eine weitere Steigerung geben. Und es war eine Steigerung, und was für eine.

4 km Schwimmen. Hört sich erstmal nicht so schlimm an. Aber bei meinen Schwimmleistungen ist das schon mal eine echte Herausforderung. In 01:45 wollte ich das erledigen, und tatsächlich, ich habe es sogar in 01:32 geschafft. Für gute Schwimmer eine Katastrophenzeit, für mich ein Erfolg !!!! Die Strecke erscheint mir endlos lang und wegen der tief stehenden Sonne ist das Ziel nur zu erahnen. Trotzdem nicht verschwommen und den Ausstieg auf Anhieb gefunden.

In Ruhe gewechselt und rauf aufs Rad. Im Zentrum von Immenstadt geht es dann sofort den berühmten Kalvarienberg hoch. Auf beiden Seiten stehen zahlreiche Zuschauer, die dich den Berg hoch schreien. Das macht Spaß !!!! Aber das mit dem Spaß relativiert sich später. Die Radstrecke hat viele schnelle Abfahrten, aber leider auch dementsprechend viele Steigungen. Ständig geht es auf und ab. Irgendwann kommt mir mein Trainer entgegen und brüllt mir noch hinterher. Mann, der sieht aber auch alles. Er rast die Abfahrt runter, ich quäle mich den Berg hoch.

Nach 130 km geht es endlich in die zweite Wechselzone. 6 Stunden und 49 Minuten bin ich jetzt insgesamt schon unterwegs. Im Zelt kurz hinsetzen und die Laufschuhe anziehen. Mir gegenüber sitzt ein Australier, der nicht mehr weiter will. Aus die Maus. Aber ich muss weiter. Also raus aus dem Zelt und rein ins Stadion.

Eine Runde und dann geht es in eine 3 km Schleife in die Immenstadter Innenstadt, danach wieder durch das Stadion und in eine 7 km Schleife in die andere Richtung. Das Ganze einfach dreimal und die 30 wären erledigt. Tja,… Die erste Runde läuft noch wie geplant aber danach wird es schwer. Bei km 14 kann ich nicht mehr. Ich bin total erledigt. Ich zögere es noch etwas hinaus aber schließlich muss ich gehen. So eine Sch… Das musste ich bisher noch nie. Aber ein Blick auf die Uhr sagt mit, dass ich jetzt auch schon fast 8 Stunden unterwegs bin. Junge, junge, bin ich kaputt. Ich fange wieder an zu laufen. Wieder geht es durch das Stadion. Hier kannst du natürlich nicht gehen. Also alle Kräfte noch mal mobilisiert und weiter. In der Stadt ist Gehen auch nicht wirklich schön. Also auch da, kämpfen und durch. Endlich geht es wieder in die andere Richtung. Kein Stadion, keine City, kein Zuschauer, endlich wieder mal gehen.

Ich weiß jetzt dass ich die 10 Stunden nicht mehr schaffen kann. Aber ich darf einfach nicht aufgeben und fange wieder mit dem Laufen an. Und wieder kommt das Stadion und wieder kommt die City und wieder laufe ich, obwohl ich nicht mehr laufen will. Und auch nicht mehr kann? Da ist die Grenze, ich kann sie sehen und sie sieht verdammt hässlich aus. Aber ein wenig geht noch und ich erinnere mich an den Song, den mir mein Motivationsguru gestern extra noch vorgespielt hat:

Everybody hurts von R.E.M
Manchmal läuft eben alles schief.
Und jetzt ist es Zeit, darüber zu singen
Wenn sich dein Tag wie eine Nacht anfühlt,
(halte durch, halte durch)
Wenn du das Gefühl hast,
dass Dir alles entgleitet (halte durch)
Wenn du denkst, du hättest genug von diesem Leben,
halte durch.

Endlich im ZielGeiles Lied, und ich sage mir ständig: Hold on, hold on, hold on.
Und ich halte durch. Die letzten Kilometer laufe ich wieder durch und merke, dass ich noch unter 10:15 ankommen kann. Knapp unter 10 Stunden hatte ich eingeplant und in knapp über 10 laufe ich ins Ziel.
10:11:42 steht auf der Uhr als ich total erschöpft über die Ziellinie laufe. Mein Coach, der schon nach 07:21:09 als zweiter seiner Altersklasse ins Ziel gekommen war, steht hinter der Linie und empfängt mich mit Beifall und kalten Getränken. Eine der unzähligen freundlichen Helferinnen umsorgt mich mit nassen Schwämmen und kühlt mich sanft auf Armen, Beinen und Rücken. Herrlich!

Tja, habe ich die Grenze jetzt wirklich gesehen? War dies das Limit? Oder bin ich sogar darüber hinaus gewesen? Geht da noch mehr oder ist hier Schluss?
Eine Antwort kann ich nicht geben. Ich glaube, dass niemand hier eine Antwort hat. Ich weiß nur, dass ich mich einer Grenze genähert habe und in genau diesem Moment gedacht habe, hier ist jetzt Schluss. Und trotzdem ging es weiter.  Und jetzt, zwei Tage später, glaube ich, dass es auch noch weiter geht. Hold on.

5 Kommentare auf “Grenzen”

  1. Pit sagt:

    Hallo Günter,

    ich sage nur:“Chapeau!!!! Habe dich beruflich kennengelernt und daher verwundert mich diese Spitzenleistung nicht!Klasse Text!!! War jahrelang auf der Kurzdistanz ( ich weiß, etwas für Weich…) unterwegs; Langdistanz hätte ich mich nie getraut; du machst Mut es doch mal zu probieren 🙂

    Mach weiter so!

    Gruß

    Pit

  2. Mig & Nele & Hansjörg sagt:

    Respekt — Nein, RESPEKT!!!

    Wir sind stolz auf Dich!!!

    Liebe Grüße aus Kerpen!!!

  3. Sven sagt:

    Hallo mein lieber Günter,

    zuerst mal dies: Du schreibst einfach Klasse. Wenn Du Deine Blogs mal in einem Buch zusammenstellen solltest, wird das ein Bestseller.

    Deine Leistung ist beneidenswert, mach weiter so und Zürich 2011 wird die Krönung.

    Bis bald
    Sven

  4. Dirk Nolden sagt:

    Hallo Günter,
    Respekt vor dieser Leistung.
    Ich bin einfach nur STOLZ auf dich.
    LG…..Dirk

  5. Christine sagt:

    Ich bin echt soooooooo stolz auf dich!!!
    Du bist ein super Motivator und (sorry, wenn ich jetzt deine Begriffe benutze) auch ein bisschen erleichtert, dass es dem Meister auch mal so geht, wie der Schülerin 😉

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